Was Dinge über uns aussagen

Unser Besitz reflektiert, wer wir sein wollen. Wenn ein Gast unsere Wohnung betritt, dann wünschen wir uns, dass er beeindruckt ist. Von unserem Wesen. Von unserem Wohlstand und von allem, was wir gerne wären. Die gut gefüllten Bücherregale deuten auf unseren Bildungsstand hin, der riesige TV-Bildschirm soll zeigen, dass wir nicht am Hungertuch nagen. Die konforme IKEA-Einrichtung beweist, dass wir wissen was gerade im Trend liegt und das ausgefallene Souvenir aus Südafrika suggeriert wie weit wir schon herumgekommen sind.

Wir schmücken uns mit Dingen, weil wir glauben, dass wir selbst nicht genügen. Das ist auch kein Wunder. Schließlich gaukelt uns die Werbung ständig vor, was wir alles brauchen, um glücklich zu sein. Dass es bei diesem vermeintlichen Glück aber nur darum geht, wie andere uns wahrnehmen, wird natürlich ausgespart. Wir eignen uns Dinge an, um zu imponieren, nicht weil sie unseren Alltag erleichtern. Die ganze Sache hat nur einen Haken: Verschiedene Personengruppen projizieren ganz unterschiedliche Eigenschaften in verschiedene Dinge. Was denkst du, wenn du jemanden besuchst, in dessen Einfahrt ein fetter Porsche steht? Je nach Alter, Lebensstil und Einstellung kann das Urteil ganz unterschiedlich ausfallen:

  1. „Geile Karre, hätte ich auch gerne“
  2. „Der/die hat wohl ’ne Midlife Crisis.“
  3. „Der/die scheint Kohle zu haben.“
  4. „Der/die liebt es schnell zu fahren.“
  5. „Was man mit dem Geld alles hätte machen können“
  6. „Gibt sinnvollere Investitionen“
  7. „Umweltverschmutzung. Nimm lieber den Bus.“

Was ist die Erwartung des Autobesitzers? Was wünscht er sich, das seine Gäste über ihn denken? Klar, es kann natürlich sein, dass wir es einfach nur mit einem Autoliebhaber zu tun haben. Steckenpferde sollten jedem gegönnt sein. Tatsächlich besitzen aber zahlreiche Menschen auf der Welt teure Autos, ohne einen Ahnung davon zu haben, ob der Auspuff nun vorne oder hinten ist. Es ist ein Statussymbol. Ein Gegenstand, der das eigene Ich einrahmen soll. Leider denkt nicht jeder, was für ein toller Hecht man ist, nur weil man einen Porsche besitzt. Man erreicht nur selten die Wirkung, die man sich erhofft. Denn jeder Mensch ist anders und projiziert andere Eigenschaften in die Dinge, die wir besitzen. Trotzdem scheint es so unfassbar wichtig zu sein möglichst viele und möglichst hochwertige Dinge sein Eigen zu nennen. Handelt es sich wirklich um den Autoliebhaber, so sind im die Meinungen der anderen vermutlich egal. Es geht um sein Hobby, sein Herzblut, und wenn er das passioniert vertritt, wird man ihm schnell Glauben schenken. Alle anderen Intentionen funktionieren nur selten.

Wieso zur Hölle sollte man also so viel Kohle für irgendeinen Schlitten ausgeben, der schon im ersten Jahr rasant an Wert verliert? Wenn wir uns bewusst werden, dass unser Besitz nicht das über uns aussagt, was wir uns wünschen, könnten wir uns von vielen Dingen viel einfacher befreien. Und ja, das ist ein Wohlstandsproblem! Und ja, ich bin auch nicht frei davon! Aber Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. 🙂

Kauft euch, was ihr liebt und nicht von dem ihr glaubt, dass es euch beliebter macht. Ich verspreche euch, ihr werdet euch freier fühlen! Es wird euch leichter fallen, einfach ihr selbst zu sein. Ohne Tamtam. Ohne Modeschmuck. Beim Sex sind wir auch alle nackt. Und das ist für die meisten Menschen so ziemlich die wichtigste Sache der Welt.

Vom Besitzer zum Benutzer

Studien zufolge gewinnen Gegenstände für uns an Wert sobald sie in unseren Besitz übergehen. Das erklärt auch warum uns die Trennung so schwer fällt. Besonders Menschen, die nicht regelmäßig ausmisten, finden es manchmal schier unmöglich eine Sache wegzugeben, selbst wenn sie seit Jahren unbeachtet in der hintersten Ecke des Kellers ihr Dasein fristet. Ich stelle mir nun vor, dass man diesem Effekt entgegenwirken kann, indem man sich dem geistigen Besitz verweigert. Mir müssen Dinge nicht gehören, damit ich sie benutzen kann.

Kant sieht den Besitz eines Gegenstandes als Voraussetzung für dessen Gebrauch. Doch Kant hatte auch noch nie etwas vom Internet oder Car Sharing gehört. Selbst schweres Gartengerät oder die ganz einfache Bohrmaschine kann man heutzutage im Baumarkt um die Ecke ausleihen. Natürlich sind diese Dinge im Besitz eines anderen und werden durch eine Art „Mietvertrag“ kurzzeitig in unsere Verantwortung gegeben. Doch wir empfinden sie nicht als unseren Besitz und geben sie ohne mit der Wimper zu zucken wieder ab. Die Trennung fällt leicht. Eine persönliche Bindung gibt es nicht, genauso wenig wie eine irrationale Aufwertung des Gegenstandes. Die Antwort kann natürlich nicht sein gar nichts mehr zu besitzen und alles auszuleihen. Ein paar Dinge benötigen selbst die größten Hardcore-Minimalisten. Wer einen festen Wohnsitz hat, will ungern auf dem Fußboden schlafen und sich vielleicht ab und zu selbst etwas kochen. Was wir brauchen, muss jeder selbst entscheiden.

Nehmen wir an ich brauche Folgendes:

  • Matratze, Kopfkissen, Bettdecke
  • Klobürste
  • Zahnbürste
  • Handtuch
  • Küchengeräte
  • Topf, Pfanne, etc

Wenn ich diese Dinge kaufe oder mir anderweitig besorge, gehen sie ganz klar in meinen Besitz über. Mit einer gesunden Einstellung zur ihrer Lebensdauer und ihrem Nutzen für meine Zwecke, kann ich sie als Gebrauchsgegenstände betrachten, die zwar Teil meines Besitzes sind, aber vor allem dazu dienen benutzt zu werden. Ich besitze sie, weil ich sie brauche, nicht weil sie schön aussehen. Alles hat ein Ablaufdatum. Es lohnt sich nicht diese Dinge als meinen persönlichen Besitz zu betrachten und Energie an sie zu verschwenden. Das hält mich nur auf, wenn ich den nächsten Umzug plane oder morgen beschließe eine Weltreise anzutreten. Sie sind mein rechtlicher Besitz, der mir erlaubt, sie zu benutzen, also ganz im Sinne Kants, der aber auch das Nutzungsrecht aller anderen Menschen ausschließt. So ganz kommen wir um den lästigen Besitz also nicht herum. Doch wir können sein Gewicht reduzieren. Wir können verhindern, dass wir emotionale Bindungen mit Dingen eingehen. Und damit meine ich nicht mit allen Dingen, sondern mit zu vielen Dingen.

Das Internet ist ein Paradebeispiel für die Nutzung ohne Besitz. Der Informationsaustausch findet auf zahlreichen Servern statt, die wir nicht sehen, die uns nicht gehören. Wir greifen von überall auf der Welt darauf zu, werden zu Usern ohne uns Dinge anzueignen. Fast alles funktioniert auf Basis des Leih-Prinzips. Zwar zahlen wir für moderne Streamingplattformen, wie zum Beispiel Netflix eine monatliche Rate und erkaufen uns sozusagen das Recht des Konsums der angebotenen Produkte, doch wir bekommen keine Hardcopy zugeschickt, wir laden die Daten nicht einmal herunter, sondern nutzen die High Speed Verbindungen unserer Generation. Wir nutzen die Infrastruktur des Internets, so wie wir das Bahnnetz oder öffentliche Sharing-Angebote (z.B. Bücherschränke) nutzen. Besitz wird unwichtig. Das Internet ermöglicht uns Leichtigkeit. Wir können alles wissen, alles sehen, überall mitreden und das in Sekundenschnelle, ohne dass wir dafür ganze Bibliotheken zu Hause anhäufen müssten.

Seinen Besitz so weit wie möglich einzuschränken, bedeutet nicht zu verzichten. Es bedeutet Freiheit. Es bedeutet weniger Trennungsschmerz und es bedeutet sich über die Funktion von Dingen klar zu werden. Welche Funktion hat mein bemaltes Holzpferd aus Schweden? Brauche ich es wirklich? Benutze ich es? Nein. Will ich es besitzen? Ja. Ich bilde mir ein, dass es mich an einen wunderschönen Urlaub erinnert. Tut es natürlich nicht. Ich erinnere mich daran, wenn ich es ansehe. Es ist eine Notiz. Ein Stichwort. Für ein Referat, das ich eigentlich schon auswendig kann. Macht nichts. Denn die meisten Dinge, in meinem Besitz, benutze ich tatsächlich, ohne dass sie mir allzu viel bedeuten, sodass ich nicht lange darüber nachdenken müsste, was ich aus meiner brennenden Wohnung retten würde. Das Holzpferd wäre sicher dabei.

 

Was würdest Du geben?

Minimalismus. Dieses Wort geistert seit Monaten durch meinen Kopf. Gehört hatte ich es das erste Mal wahrscheinlich im Zusammenhang mit Kunst. Ich weiß es nicht mehr. Dass damit auch ein Lebensstil gemeint sein kann, erscheint in dieser durchweg materialistisch geprägten Welt irgendwie… na ja… weltfremd. Klar, Mönchen, Aussteigern und Einsiedlern traut man derartige Verrücktheiten noch zu, aber seien wir ehrlich, der Otto-Normalverbaucher glaubt, dass das gar nichts für ihn sein kann. Schließlich baut unsere Wirtschaft auf Wachstum auf, auf Konsumieren, Konsumieren, Konsumieren. Wir machen alle fröhlich mit, weil es der Wirtschaft doch so gut tut, weil wir gerne Teil von Europas Power-Engine sind und weil es uns jedes Mal einen Kick gibt, wenn wir mal wieder eine Ikea Duftkerze oder das neuste iPhone ergattert haben. Lange habe ich darüber gar nicht nachgedacht, ist ja auch nicht nötig. Macht ja angeblich so glücklich. Heute bezeichne ich mich selbst als Minimalist. Nur wie konnte das passieren?

Die Antwort fällt mir nicht leicht. Mit Mitte zwanzig begann ich mich für einen nachhaltigeren Lebensstil zu interessieren und stellte zum ersten Mal mein Konsumverhalten infrage. Ich war zwar immer schon ein Mensch, der wusste, was er nicht braucht (zum Beispiel ein Auto, eine riesige Wohnzimmercouch, das neuste Smartphone-Modell), dafür war ich in anderen Bereichen ganz groß. Kleidung und Bücher waren meine Objekte der Begierde. Maßlos. Billig. Sinnlos. Ich nahm mir also vor ein Jahr lang keine neue Kleidung und keine Bücher mehr zu kaufen, außer ich brauchte etwas wirklich. Überraschung: Ich brauchte nichts! Mein riesiger Kleiderschrank war so vollgestopft, dass ich drei Jahre davon hätte zehren können. Wenn ein T-Shirt hinüber war, dann zog ich eben eins von den gefühlten 200 anderen aus den Tiefen meiner Kleiderberge hervor. Keine neuen Bücher mehr zu kaufen, war leicht, da ich stolzer Besitzer eines Kindles war. Als das Jahr zu Ende ging, war auch meine Konsumsucht verschwunden. Minimalist war ich deswegen noch lange nicht. An Ausmisten dachte ich gar nicht. Hatte ja schließlich alles mal Geld gekostet. Also lebte ich weiter umgeben von Bergen aus Dingen, die ich nicht brauchte, von denen ich mich aber einfach nicht trennen konnte. Wieso, das wusste ich nicht. Die wenigsten Menschen haben darauf eine Antwort, obwohl sie wahrscheinlich tief im Inneren wissen, worum es geht. Wir sind alle Narzissten, manche mehr manche weniger und die meisten von uns hoffen, dass unsere Besitztümer unseren Charakter widerspiegeln, wer wir sind. In Wahrheit zeigen sie nur, wer wir sein wollen.

Es dauerte zwei weitere Jahre bis mich die Wut zum Ausmisten packte. Zwei Ereignisse spielen dabei eine Rolle. Zum Einen zog eine neue Mitbewohnerin in meiner WG ein und zwar mit fast nichts. Sie brachte einen winzigen Ikea Kleiderschrank, einen Schreibtisch und eine Matratze mit. Ihre wenigen Bücher stapelte sie auf dem Schreibtisch. Drei Pflanzen auf der Fensterbank dienten als Dekoration, und als ich ihr sagte, dass ich im Flur Platz für Ihre Schuhe schaffen würde, antwortete sie, dass Sie nur drei Paar besäße, das wäre kein Problem. Mir fiel die Kinnlade herunter. Wie man mit so wenigen Schuhen überleben konnte, war mir schleierhaft. Doch ihr Zimmer hatte es mir angetan, es wirkte riesig, hell und ordentlich. Selbst wenn sie nicht aufgeräumt hatte, schien dennoch eine gewisse Ruhe über dem Raum zu liegen. Das beeindruckte mich, veränderte aber nicht meine eigene Wohnsituation. Wenige Wochen später kam dann der Knackpunkt. Mein vierjähriger Kater, ein Freigänger kam einfach nicht mehr zurück. Nach drei Wochen musste ich mich langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass es ein Abschied für immer sein könnte. Ich war traurig und dachte in einem kurzen Moment: „Was würdest du geben, damit er heil nach Hause kommt?“ Ich musste keine Sekunde darüber nachdenken. Die Antwort fiel mir so leicht, wie schon lange nichts mehr. Alles. Ich würde jedes meiner Besitztümer sofort aufgeben. Sofort. Das war eine der größten Erleuchtungen in meinem Leben. Es sind nur Dinge. Nur das und nicht mehr. Sie leben nicht, sie fühlen nicht und sie reflektieren ganz bestimmt nicht meinen Charakter. Sie sind nur das, was ich in sie projiziere. Wieso also daran festhalten? Wieso sich emotional daran binden? Noch am selben Abend begann ich meinen Besitz drastisch zu reduzieren. Das ist jetzt sieben Monate her. Und soll ich Euch was sagen? Ich habe bis jetzt nicht ein einziges Ding vermisst! Ich behalte, was ich brauche und das ist erstaunlich wenig.