Was würdest Du geben?

Minimalismus. Dieses Wort geistert seit Monaten durch meinen Kopf. Gehört hatte ich es das erste Mal wahrscheinlich im Zusammenhang mit Kunst. Ich weiß es nicht mehr. Dass damit auch ein Lebensstil gemeint sein kann, erscheint in dieser durchweg materialistisch geprägten Welt irgendwie… na ja… weltfremd. Klar, Mönchen, Aussteigern und Einsiedlern traut man derartige Verrücktheiten noch zu, aber seien wir ehrlich, der Otto-Normalverbaucher glaubt, dass das gar nichts für ihn sein kann. Schließlich baut unsere Wirtschaft auf Wachstum auf, auf Konsumieren, Konsumieren, Konsumieren. Wir machen alle fröhlich mit, weil es der Wirtschaft doch so gut tut, weil wir gerne Teil von Europas Power-Engine sind und weil es uns jedes Mal einen Kick gibt, wenn wir mal wieder eine Ikea Duftkerze oder das neuste iPhone ergattert haben. Lange habe ich darüber gar nicht nachgedacht, ist ja auch nicht nötig. Macht ja angeblich so glücklich. Heute bezeichne ich mich selbst als Minimalist. Nur wie konnte das passieren?

Die Antwort fällt mir nicht leicht. Mit Mitte zwanzig begann ich mich für einen nachhaltigeren Lebensstil zu interessieren und stellte zum ersten Mal mein Konsumverhalten infrage. Ich war zwar immer schon ein Mensch, der wusste, was er nicht braucht (zum Beispiel ein Auto, eine riesige Wohnzimmercouch, das neuste Smartphone-Modell), dafür war ich in anderen Bereichen ganz groß. Kleidung und Bücher waren meine Objekte der Begierde. Maßlos. Billig. Sinnlos. Ich nahm mir also vor ein Jahr lang keine neue Kleidung und keine Bücher mehr zu kaufen, außer ich brauchte etwas wirklich. Überraschung: Ich brauchte nichts! Mein riesiger Kleiderschrank war so vollgestopft, dass ich drei Jahre davon hätte zehren können. Wenn ein T-Shirt hinüber war, dann zog ich eben eins von den gefühlten 200 anderen aus den Tiefen meiner Kleiderberge hervor. Keine neuen Bücher mehr zu kaufen, war leicht, da ich stolzer Besitzer eines Kindles war. Als das Jahr zu Ende ging, war auch meine Konsumsucht verschwunden. Minimalist war ich deswegen noch lange nicht. An Ausmisten dachte ich gar nicht. Hatte ja schließlich alles mal Geld gekostet. Also lebte ich weiter umgeben von Bergen aus Dingen, die ich nicht brauchte, von denen ich mich aber einfach nicht trennen konnte. Wieso, das wusste ich nicht. Die wenigsten Menschen haben darauf eine Antwort, obwohl sie wahrscheinlich tief im Inneren wissen, worum es geht. Wir sind alle Narzissten, manche mehr manche weniger und die meisten von uns hoffen, dass unsere Besitztümer unseren Charakter widerspiegeln, wer wir sind. In Wahrheit zeigen sie nur, wer wir sein wollen.

Es dauerte zwei weitere Jahre bis mich die Wut zum Ausmisten packte. Zwei Ereignisse spielen dabei eine Rolle. Zum Einen zog eine neue Mitbewohnerin in meiner WG ein und zwar mit fast nichts. Sie brachte einen winzigen Ikea Kleiderschrank, einen Schreibtisch und eine Matratze mit. Ihre wenigen Bücher stapelte sie auf dem Schreibtisch. Drei Pflanzen auf der Fensterbank dienten als Dekoration, und als ich ihr sagte, dass ich im Flur Platz für Ihre Schuhe schaffen würde, antwortete sie, dass Sie nur drei Paar besäße, das wäre kein Problem. Mir fiel die Kinnlade herunter. Wie man mit so wenigen Schuhen überleben konnte, war mir schleierhaft. Doch ihr Zimmer hatte es mir angetan, es wirkte riesig, hell und ordentlich. Selbst wenn sie nicht aufgeräumt hatte, schien dennoch eine gewisse Ruhe über dem Raum zu liegen. Das beeindruckte mich, veränderte aber nicht meine eigene Wohnsituation. Wenige Wochen später kam dann der Knackpunkt. Mein vierjähriger Kater, ein Freigänger kam einfach nicht mehr zurück. Nach drei Wochen musste ich mich langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass es ein Abschied für immer sein könnte. Ich war traurig und dachte in einem kurzen Moment: „Was würdest du geben, damit er heil nach Hause kommt?“ Ich musste keine Sekunde darüber nachdenken. Die Antwort fiel mir so leicht, wie schon lange nichts mehr. Alles. Ich würde jedes meiner Besitztümer sofort aufgeben. Sofort. Das war eine der größten Erleuchtungen in meinem Leben. Es sind nur Dinge. Nur das und nicht mehr. Sie leben nicht, sie fühlen nicht und sie reflektieren ganz bestimmt nicht meinen Charakter. Sie sind nur das, was ich in sie projiziere. Wieso also daran festhalten? Wieso sich emotional daran binden? Noch am selben Abend begann ich meinen Besitz drastisch zu reduzieren. Das ist jetzt sieben Monate her. Und soll ich Euch was sagen? Ich habe bis jetzt nicht ein einziges Ding vermisst! Ich behalte, was ich brauche und das ist erstaunlich wenig.

3 Gedanken zu “Was würdest Du geben?

  1. Hey, super Beitrag 🙂 Habe deinen Blog gleich mal abonniert.
    Mir hilft es auch immer zu sagen: Erinnerungen sind im Kopf, nicht an den Gegenständen. So kann ich auch „emotionale“ Gegenstände gehen lassen. Echt befreiend.

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  2. Ein Thema, das auch mich seit geraumer Zeit bewegt und über das ich gerade häufig im Blog berichte. Ich merke, wie mich das Ausmisten Stück für Stück vor allem von INNERLICHEM BALLAST befreit! Weiter so!

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